RT-Exklusiv-Interview: "Bagdad wird alle von Peschmerga besetzten Gebiete zurückerobern"

RT-Exklusiv-Interview: "Bagdad wird alle von Peschmerga besetzten Gebiete zurückerobern"
Von irakischen Truppen verbrannte kurdische Flagge in Kirkuk, 16 Oktober 2017
Nur wenige Wochen nach dem Unanhängigkeitsreferendum der Kurdenregion im Nordirak weist Iraks Armee die abtrünnige Einheit in ihre Schranken. RT Deutsch sprach mit einem arabischen Politikanalysten darüber, wie es nun im Nordirak weitergehen wird. 
 
von Ali Özkök

Dass sich die irakische Armee die ölreiche Provinz Kirkuk von den kurdischen Peschmerga zurückholen würde, war aus Sicht des renommierten arabischen Politikanalysten und Chefredakteur der Zeitung Al Rai, Elijah Magnier, von vornherein absehbar. Im Interview mit RT Deutsch sprach dieser über die politischen Spannungen zwischen der irakischen Zentralregierung und der Autonomen Kurdenregion.

Erwarten Sie nach der Niederlage des "Islamischen Staates" einen neuen militärischen Konflikt zwischen Bagdad und der Kurdischen Autonomieregion (KRG)?


Bagdad ist fest entschlossen, alle Gebiete zurückzugewinnen, die durch kurdische Kräfte unter deren Führer Masud Barzani 2014 besetzt wurden, als der "Islamische Staat" Mossul und andere Teile des Nordirak an sich riss. Die heutige Demonstration der Stärke und Entschlossenheit vonseiten der irakischen Zentralregierung hat Barzani bewiesen, dass Bagdad keine Einschnitte in seiner Souveränität hinnimmt. Daher ist damit zu rechnen, dass Bagdad alle umstrittenen Gebiete wieder einnehmen wird.

Die irakische Armee rückt im Moment gegen die Peschmerga in der Provinz Kirkuk vor. Warum ist Kirkuk so wichtig für Bagdad?

Kirkuk produziert 65 Prozent des nordirakischen Erdöls, weshalb es für die irakische Wirtschaft - und für Kurdistan in den Augen Barzanis - lebenswichtig ist. Kirkuk zu verlieren, bedeutet für Kurdistan eine Finanzkrise, schlimmer als die eigentliche, die ohnehin seit längerem grassiert. Wenn Barzani nur noch 35 Prozent der Energiereserven im Norden kontrolliert, wird er nicht mehr in der Lage sein, die 270.000 Peshmerga und die Gehälter der Regierung in den von ihm kontrollierten Gebiet zu unterhalten. Mit der Rücknahme von Kirkuk lässt Bagdad daher wenig Chancen übrig für das Überleben Kurdistans als "unabhängiger Staat".


Kurdische Medien behaupten, dass der Iran eine wichtige Rolle beim Vorstoß auf Kirkuk spielt. Wie bewerten Sie solche Aussagen?
Der Iran spielte in der Tat eine wesentliche Rolle, aber eher bei dem Versuch, die enormen Spannungen zwischen Kurdistan und Bagdad zu mildern. Gestern informierte der General der iranischen Revolutionsgarde für exterritoriale Operationen, Qassem Soleimani, den Kurden-Führer Barzani über Bagdads Plan, die Kontrolle über Kirkuk wiederzuerlangen. Der Iran versuchte damit, angesichts seiner beiderseits starken Beziehungen zwischen Bagdad und Erbil zu vermitteln. Teheran scheiterte. Jetzt hat sich die Situation gegen Barzani gewandt: Die Verhandlungen mit den Kurden nach gestern werden sich künftig anders und zu Ungunsten Erbils gestalten.

Die Türkei bereitet einen Grenzübergang in Ovaköy von der türkischen Provinz Sirnak vor, der die Kurdische Autonomieregion umgeht. Warten Sie auf einen Vorstoß der irakischen Armee in Sindschar, wo auch Peschmerga operieren?
Sindschar wird zweifellos aus verschiedenen Gründen zur irakischen Regierung zurückkehren. Es liegt an der syrischen Grenze und Bagdad will, dass die Bundespolizei alle Grenzen kontrolliert.

Traditionell ist die Kurdische Autonomieregion im Irak der beste Verbündete der Türkei. Werden wir Zeugen einer vollständigen Allianz der Türkei mit Bagdad?
Irakische Panzer auf dem Weg ins kurdisch kontrollierte Kirkuk

Die Türkei erfreut sich trotz aller Drohungen von Präsident Erdogan guter Beziehungen zu Barzani. Das gesamte Handelsvolumen zwischen der Kurdenregion und der Türkei beläuft sich auf fünf bis sechs Milliarden US-Dollar im Jahr. Dennoch: Ein kurdischer Staat wird den Appetit der türkischen Kurden auf ein ähnliches Projekt wecken. Dessen ist sich Ankara bewusst.
Die Beziehung zwischen der Türkei und Bagdad wird jedoch auf dem gleichen Niveau bleiben, mit Höhen und Tiefen.

Was ist mit den verbleibenden Problemen wie der Schließung der Bashiqa-Basis oder der jesidischen YBS-Miliz in Sindschar?
Es ist richtig, Bagdad bat die Türkei, Truppen abziehen. Sobald der "Islamische Staat" besiegt ist und die Türken wieder zurück gehen, wird die Türkei in Barzani keinen strategischen Partner mehr sehen. Stattdessen wird man gute Beziehungen zu Bagdad bevorzugen. Die eigentlichen Spannungen zwischen Bagdad und Ankara verringern sich auf ein Mindestmaß.

Welche Rolle spielt der Iran bei der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Ankara und Bagdad, die lange angespannt waren?
Die Beziehungen zu Ankara und Bagdad betrachtet Teheran als strategisch. Zwischen der Türkei und dem Iran bestehen bilaterale Beziehungen, die weit über die normalen Beziehungen hinausgehen. Die Türkei und der Iran unterhalten umfangreiche Wirtschaftskontakte, eine enge Zusammenarbeit im Energiebereich und koordinieren miteinander Fragen der Sicherheit in der Region. Darüber hinaus befindet sich die Türkei militärisch in Syrien. Iran hält Syrien für sehr wichtig für seine nationale Sicherheit und die libanesische Hisbollah.



In Kirkuk haben wir gesehen, wie US-Humvees der Peschmerga und US-Humvees der irakischen Armee einander gegenüberstanden. Wie sehr verdeutlicht diese Situation, dass die USA keine kohärente Irak-Politik verfolgen?


Die USA verfolgen eine Politik des Regimewechsels und der Teilung im Nahen Osten, ohne zu wissen, wie man sich in Bezug auf diese beiden auseinanderlaufenden Ziele bewegen soll. Die US haben keine klare Politik im Irak, auch nicht in Syrien. Andererseits ist die Präsenz von US-Militärausrüstung auf beiden Seiten hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Bagdad die Peschmerga mit einem Teil der Waffen versorgt, die von Bagdad zuvor von den USA gekauft hatte. Waffen bedeuten jedoch wenig, wenn sie nicht richtig eingesetzt werden.

Arabische Medien behaupten regelmäßig, Erbils Politik sei eine Gefahr für den Irak und Iran, weil Erbil enge Verbindung zu Israel pflegen würde. Ist das wahr?
Das Verhältnis zwischen Kurdistan und Israel ist nicht neu und wird von den Medien aufgrund einiger kurdischer Slogans übertrieben. Kurdistan glaubt, dass ein gutes Verhältnis zu Israel die israelische Lobby in den USA dazu bringen könnte, sich für einen kurdischen Staat einzusetzen. Das ist der Punkt, wo sie einen ernsten Fehler machen: Kein Land würde im Namen der Kurden für einen Staat Kurdistan gegen Bagdad kämpfen, das inzwischen jedoch seinerseits auf entschlossene Sicherheitskräfte setzen kann.

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